Kooperationen als Ausweg aus der Krise – Kartell- und Wettbewerbsrecht in Zeiten von COVID-19

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I. EINLEITUNG

Die Corona-Krise hat Europa fest im Griff. Es brechen Absatzmärkte weg, Lieferzusagen können nicht mehr eingehalten werden und Preise steigen. Vor diesem Hintergrund suchen Unternehmen nach Lösungen, um die Auswirkungen der Krise zu mildern. Damit kann der Wettbewerber von gestern zum Kooperationspartner von morgen werden, weil er z.B. krisenrelevante Lösungen oder Produkte anbietet, die im eigenen Betrieb fehlen. Exklusive Lieferverträge werden existenzrelevant bzw. bieten Marktvorteile, insbesondere wenn Produktionsmittel knapp werden.

Aber es ist Vorsicht geboten, denn das Kartellrecht gilt auch in Zeiten der Krise. Die Kartellbehörden betonen, dass sie gezielt gegen Unternehmen vorgehen werden, die kartellrechtswidrig versuchen, aus der aktuellen Situationen Vorteile zu ziehen. Zugleich hat das European Competition Network (ECN; eine Vereinigung der europäischen Kartellbehörden) jüngst betont, dass man die Notwendigkeit von Kooperationen sehe, um die faire und wichtige Versorgung und Verteilung von essentiellen knappen Gütern sicherzustellen.

Was bedeutet dies für den Mittelstand in Deutschland?

Im Folgenden haben wir für Sie die wichtigsten Fragen und Antworten rund um dieses Thema als erste Hilfestellung und Orientierung zusammengestellt.

II. KOOPERATIONEN MIT WETTBEWERBERN / LIEFERANTENVORGABEN

Ich betreibe nur ein kleines Unternehmen. Betrifft mich das Kartellrecht überhaupt?
Das Kartellrecht gilt für jedes Unternehmen, auch kleine und mittlere Unternehmen (sog. KMU).

Sind Kooperationen mit Wettbewerbern erlaubt?

Das ist stets im Einzelfall zu prüfen. Für bestimmte Kooperationen, z. B. Mittelstandskartelle oder Forschungs- und Entwicklungskooperationen (F&E-Kooperationen), gibt es bereits Freistellungsmöglichkeiten, die krisenunabhängig eine Kooperation erlauben.

Neben diesen bereits freigestellten Kooperationen hat das ECN angekündigt, zeitlich begrenzte und notwendige Kooperationen nicht zu verfolgen, wenn sie dazu dienen, die Versorgung der Verbraucher mit knappen Gütern sicherzustellen. In Betracht kommen hierfür u.a. F&E-Kooperationen für Medikamente oder Schutzkleidung gegen das Coronavirus. Die Kartellbehörden haben bereits in der Vergangenheit den hohen Stellenwert von verbesserten Impfstoffen für die Volksgesundheit betont. Aufgrund der Dringlichkeit, mit der Medikamente benötigt werden, um die Bevölkerung zu versorgen, sind gemeinsame Verwertungsvereinbarungen denkbar, wenn damit eine schnellere Marktverfügbarkeit erzielt werden kann.

Darüber hinaus dürften sog. Kollegenlieferungen, d.h. Aushilfslieferungen zwischen Wettbewerbern, möglich sein, um vorübergehende Engpässe auszugleichen. Solche Kooperationen wurden von den Behörden bereits für ungewöhnliche Fälle höherer Gewalt zugelassen. Dabei ist allerdings auf die ausgetauschten Informationen genau zu achten, um sich nicht versehentlich dem Vorwurf einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung auszusetzen.

Diskutiert werden auch sog. Strukturkrisenkartelle, um koordiniert Überkapazitäten abzubauen. Dies kann bspw. durch unter Wettbewerbern vereinbarte Abbauquoten erfolgen. Aufgrund der sehr engen Zulässigkeitsvoraussetzungen sollten solche Kooperationen nur äußerst vorsichtig, gut dokumentiert und in enger Abstimmungen mit den Behörden betrieben werden.

Weitere zulässige Kooperationen wären Einkaufs- oder Produktionsgemeinschaften, Kooperationen zur gemeinsamen Personalbeschaffung oder Kooperationen, um eine konkrete Nachfrage zu bedienen.
Für all diese Maßnahmen gilt aber grundsätzlich, dass sie nur zeitlich beschränkt zulässig sind und das erforderliche Maß nicht überschreiten dürfen.

Welche Informationen darf ich mit meinen Wettbewerbern dann austauschen?

Dies richtet sich nach der wettbewerblichen Relevanz. Regulatorische Maßnahmen zum Umgang mit der Krise, wie bspw. Hygienemaßnahmen, sind nicht wettbewerblich relevant und daher austauschbar. Vorsicht ist hingegen bei Informationen über Produktionspläne, Aufträge, Preise, Kunden usw. geboten.

Ist ein Informationsaustausch erforderlich, ist eine Absicherung im Wege einer Vertraulichkeitsvereinbarung oder NDA zu empfehlen.

Derzeit gibt es für mich dringendere Probleme. Welche Gefahren bestehen im Falle eines Kartellrechtsverstoßes überhaupt?

Wettbewerbsverstöße stellen eine Ordnungswidrigkeit dar und können Bußgelder in Höhe von bis zu 10 % des Vorjahresumsatzes nach sich ziehen. Unter Umständen können auch die jeweiligen Entscheider strafrechtlich verfolgt werden. Zudem ist zu erwarten, dass die Kartellbehörden sich nach der Krise bestimmte Märkte und Maßnahmen besonders genau anschauen werden. Einige Kartellbehörden haben dies bereits angekündigt.

Kann ich meine Kooperationen im Vorfeld überprüfen lassen?

Wenn kartellrechtliche Bedenken bestehen, können angedachte oder geplante Kooperationen vorab vom Bundeskartellamt informell geprüft werden. Es ist damit zu rechnen, dass die Behörden Anfragen kurzfristig beantworten. Für eine solche Voranfrage sind der Kartellbehörde folgende Informationen bereitzustellen:

  • Beteiligte Unternehmen und betroffene Waren oder Dienstleistungen
  • Umfang und Aufbau der Kooperation
  • Aspekte, die das Vorgehen ggfs. kartellrechtlich bedenklich machen
  • Vorteile, die mit der Kooperation erzielt werden sollen
  • Erklärung, warum die Kooperation notwendig und verhältnismäßig ist

III. STÖRUNGEN IN DER LIEFERKETTE (MARKTMACHTAUSÜBUNG) / PREISE

Dürfen Großkunden einfach Lieferverträge kündigen und sich weigern, bestimmte Unternehmen zu beliefern oder deren Waren abzunehmen?

Großkunden bzw. marktstarke Unternehmen, seien es Abnehmer oder Lieferanten, sind auch in der Krise nicht per se frei, ihren Vertragspartnern zu kündigen oder bestimmte Lieferungen oder Abnahmen einzustellen. Ein marktstarkes Unternehmen muss seine Vertragspartner diskriminierungsfrei behandeln. Das bedeutet, dass es einzelne Partner nicht willkürlich benachteiligen oder bevorzugen darf, sondern es dafür stets eines sachlichen Grundes bedarf. Liegt ein solcher nicht vor, ist die Maßnahme rechtswidrig. In Fällen von Engpässen müssen Entscheidungen zudem in einem Stufenverhältnis erfolgen, d.h. bspw., dass alle Abnehmer gleichmäßig beliefert werden (sog. Repartierungspflicht) statt einem einzelnen Vertragspartner zu kündigen.

Soweit solche Regeln nicht eingehalten werden, können Betroffene sich dagegen mit einstweiligen Verfügungen wehren oder ein solches Verhalten beim Bundeskartellamt anzeigen.

Umgekehrt sollten marktstarke Unternehmen, die solche Entscheidungen zu treffen haben, ihre Maßnahmen objektiv und sachlich nachvollziehbar gestalten und dokumentieren. Je nach Ausmaß kann sich auch eine Rücksprache mit den zuständigen Behörden empfehlen.

Welche Märkte stehen besonders unter Beobachtung?

Das ECN hat angekündigt, einen besonderen Fokus auf die Märkte für essentielle Gesundheitsprodukte wie Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel zu legen. Damit soll die Versorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen sichergestellt werden. Die französische Wettbewerbsbehörde geht bereits Verstößen wegen Wucherpreisen für Desinfektionsmittel nach.

Darf man Händlern Preise vorschreiben?

Maximalpreise sind erlaubt, da dadurch ungerechtfertigte Preise verhindert werden können. Mindestpreise sind hingegen nach wie vor nicht erlaubt?

Wie sind Preiserhöhungen in der Krise zu behandeln?

Angemessene Preiserhöhungen sind im freien Wettbewerb erlaubt. Substantiellere Preisanstiege können zulässig sein, wenn sie Folge der derzeitigen Marktlage bzw. von Lieferengpässen sind, bspw. aufgrund der derzeit höheren Rohstoffpreise.

Allerdings hat das ECN bereits angekündigt, gegen jedes Unternehmen vorzugehen, das die Krisen- und Notsituation ausnutzt, um aus überhöhten Preisen Profit zu schlagen. Preiserhöhungen von über 1000 % für bestimmte Hygieneartikel sind auch krisenbedingt nicht gerechtfertigt und dürften nach der Krise entsprechende Verfahren nach sich ziehen.

IV. GERICHTSPROZESSE IN CORONAZEITEN

Eilbedürftige Verfahren

Auch – oder vielleicht insbesondere - in Pandemiezeiten muss ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet sein. Der Richterbund hat nun nochmals bekräftigt, den Zugang zum Recht auch in dringenden Fällen sicherzustellen. Knackpunkt solcher Eilverfahren ist die Voraussetzung der Dringlichkeit, die erfordert, dass zwischen der Kenntniserlangung über die Rechtsverletzung und der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nicht mehr als 4 Wochen verstreichen. Diese von den meisten Gerichten angenommene Regelfrist von einem Monat kann seit der Corona-Krise und dadurch bedingten Einschränkungen des Geschäftsbetriebs in Unternehmen u.U. nicht haltbar sein.

Insoweit soll es für die Dauer der Pandemie aber eine verstärkte Einzelfallwürdigung (unter Berücksichtigung der Art des Verstoßes, der Erforderlichkeit und der tatsächlichen Möglichkeit von Ermittlungen, der Möglichkeit des Zugangs der Abmahnung beim Gegner usw.) und damit einhergehend eine flexiblere Handhabung der Dringlichkeitsfrist geben.

Verhandlungstermine

Viele unserer Mandanten müssen derzeit hinnehmen, dass ihre Verhandlungstermine durch die Gerichte aufgehoben werden. Die damit einhergehende Verzögerung der Verfahren kann in einigen Fällen äußerst unbefriedigend sein.

Eine solche Terminsaufhebung kann auch vermieden werden: inzwischen gibt es mehrere Gerichte, die eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung anbieten, so dass sich Parteien, ihre Bevollmächtigten, Zeugen und Sachverständige während der Verhandlung bzw. Vernehmung an unterschiedlichen Orten aufhalten können. Auch das Landgericht Düsseldorf hat am 31. März 2020 in einer Pressemitteilung verkündet, dass es den Parteien die Durchführung von mündlichen Verhandlungen im Wege von Videokonferenzen anbietet. In anderen Bereichen werden Videoanhörungen im Rahmen eines Webex-Meetings bereits durchgeführt.

Als Fazit ist festzuhalten, dass trotz einiger Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung eines Gerichtsprozesses bis hin zur Zustellung von Beschlüssen die Bearbeitung von dringenden Angelegenheiten und damit auch Eilverfahren, die vom Justizgewährungsanspruch gemäß Art.19 Abs. 4 Grundgesetz umfasst ist, weiterhin gewährleistet bleibt.

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